Gospelmusik
MusikGospelmusik ist ein christliches Musikgenre mit Wurzeln in den afroamerikanischen Kirchen der USA. Gospelmusik ist stark von Spirituals, Blues und Jazz beeinflusst und wird oft in Gottesdiensten verwendet.
Von Giacomo Dragone
29/07/2024
1. Geschichte der Sklaverei und die ersten Melodien
Um die Entstehung und die musikalischen Merkmale der Gospelmusik zu verstehen, muss man sich die Geschichte der Afroamerikaner in der Sklavenzeit und in der Entwicklung ihrer Kirchen vor Augen halten.
Bereits portugiesische und spanische Eroberer brachten leibeigene Diener, die aus ihren afrikanischen Kolonien stammten, mit in die „Neue Welt“.
Das erste Schiff mit 20 afrikanischen Sklaven erreichte 1619 Nordamerika. Seitdem wurden unzählige Afrikaner verschleppt und mit Waffengewalt zum Sklavendienst gezwungen. Es gab nichts, was sie mitnehmen durften und konnten außer Teilen ihrer Kultur – der wesentliche Teil ihrer Kultur war die Musikalität. Die Afrikaner konnten sich z. T. noch nicht einmal untereinander verständigen, da sie bewusst getrennt wurden und aus unterschiedlichen Stämmen mit unterschiedlichen Sprachen kamen. Es gibt viele Berichte, in denen davon erzählt wurde, dass die „negars“ auf den Schiffen Lieder sangen: traurige, sehnsuchtsvolle Lieder aber auch mutmachende Melodien.
Die Sklaven wurden hauptsächlich als Arbeitskräfte auf Plantagen eingesetzt. Die Anzahl der Afrikaner, die nach Amerika gebracht wurden, kann nur geschätzt werden. Die Geschichtsbücher nennen kurz vor der Zeit des Bürgerkrieges 1861 eine Zahl von 15 Millionen schwarze Sklaven auf dem gesamten amerikanischen Kontinent.
2. Frühe musikalische Formen von Sklavenliedern
Das emotionale Singen und das Tanzen der Sklaven bei der Arbeit und bei Versammlungen war wie in afrikanischen Riten ein lebensnotwendiger Ausdruck ihrer Identität. Ein weiteres Merkmal war das Steigern des Gesanges in immer höher werdende Tonlagen. Bei Männern war das Singen im Falsett in der afrikanischen Tradition ein Zeichen von höchster Potenz.
Das Singen fand auch während der Arbeit statt. In den „Worksongs“, „Calls“ oder „Cries“ ging es vor allem um das gleichmäßige Ausführen bestimmter Bewegungsabläufe der Arbeitenden und das Erleichtern von physischer Arbeit durch emotionale „Arbeit“, nämlich durch das Singen. Auch das Herbeirufen der Arbeiter zum Essen oder das lautstarke Anbieten der Ware auf dem Markt geschah in dieser halb gesprochenen, halb gesungenen Form.
Es gab noch andere musikalische Formen unter den afroamerikanischen Sklaven wie „Folk Songs“, „Prisoners Songs“ oder „Ballads“, aus denen sich der „Blues“ entwickelte. Ursprünglich war der Blues ein improvisierter Stegreifgesang, der solistisch ohne Harmoniewechsel gesungen wurde. Textlich ging es im Blues oftmals um das Beklagen und Beschreiben der schlechten Lebenssituation.
All diese Musikformen haben eines gemeinsam: Die aus der afrikanischen Polymetrik stammende starke Rhythmik und die Betonung der „off-beats“, den Schlägen, die zwischen den Grundpulsen liegen und den Gesang vorantreiben.
3. Fortschreitende Unabhängigkeit von den Weißen
Die Sklavenhalter versuchten schon früh die Sklaven nach ihrem weißen Ideal zu „zivilisieren“. Das glaubten sie zu erreichen, indem man die Schwarzen unter anderem zum christlichen Glauben bekehrte. Mithilfe der Bibel wollte man die Sklaven auch zur Unterwürfigkeit erziehen.
Warum die Sklaven die weiße Religion so schnell aufnahmen, obwohl sich dadurch nichts an ihrer Situation änderte, ist nicht eindeutig belegt. Die Betonung der Freiheit und der Gleichberechtigung aller Menschenrassen in der Bibel werden häufig als ein Grund angesehen. Ein Beleg dafür können die vielen Sklavenaufstände sein, die von schwarzen Predigern angeführt wurden. Außerdem identifizierten sich die Schwarzen sehr stark mit dem Volk Israel aus dem Alten Testament, das sich aus der Sklaverei in Ägypten befreien ließ.
Auf den ersten Camp Meetings wurden Psalme und Choräle gesungen. Diese waren langsame und getragene Melodien, die vom Prediger vorgesungen und von der Menschenmenge nachgesungen wurden. Die Negro Spirituals wurden einstimmig gesungen. Die Schwarzen übernahmen zunächst die Lieder der Weißen und entwickelten später eigene Melodien und Texte. Sie animierten die Gemeinde zur Teilnahme in Form von Zurufen und Klatschen.
4. Mehr Freiheit für die Gospelmusik
Ab 1773 wurde den Afroamerikanern die Gründung von offiziellen „Neger-Kirchen“ erlaubt. Die Weißen versprachen sich dadurch eine Trennung von den Sklaven, die bis dahin häufig zu ihren Gottesdiensten gekommen waren. Diese Trennung unterstrich die Tatsache, dass das Vorhaben der Weißen, die Sklaven nach ihrem Vorbild zu „zivilieren“, misslungen war.
Um 1801 wurde erstmals ein Gesangbuch für schwarze Gemeinden veröffentlicht.
Die Verbreitung der Lieder fand bis dahin nur durch die mündliche Weitergabe statt. Diese Liedkultur aus Afrika, wo eine Notenschrift nicht bekannt war, wurde auch lange Zeit weiter gepflegt, da die meisten Sklaven nicht lesen konnten.
Die Texte der Lieder waren nicht nur Ausdruck des Glaubens, sondern handelten oft in einer zweideutigen Weise von der politischen und sozialen Situation der Sklaven. Dieses sogenannte „double-talk“ ermöglichte den Austausch von geheimen Fluchtbotschaften während des Singens bei der Arbeit. Darin wurde die Freiheit im Himmel gleichgesetzt mit politischer Freiheit.
Auch wurde vielen schwarzen Christen alte Kirchengebäude überlassen. Diese waren von von zu groß gewordenen weißen Gemeinden, die sich neue Kirchenhäuser bauten.
5. Auswirkungen des Sezessionskrieges
In den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine ideologische und wirtschaftliche Kluft zwischen den amerikanischen Nord- und Südstaaten, die jeden Lebensbereich umfasste. Die größte Streitfrage zwischen ihnen war die Sklaverei. Während die südlichen Agrarstaaten daran festhielten, war für die industriellen Nordstaaten die Abschaffung der Sklaverei aus wirtschaftlichen Gründen unvermeidlich. Der Streit mündete schließlich in den Sezessionskrieg von 1861-1865 und endete mit der Niederlage der Truppen der Südstaaten. Der Kongress erklärte 1865 die Sklaverei in allen amerikanischen Staaten für abgeschafft.
Viele ehemalige Sklaven wurden arbeitslos. Die allgemeine wirtschaftliche Situation verschlechterte sich deutlich durch den Verlust der billigen Arbeitskräfte. Zahlreiche Hilfsorganisationen versuchten, den Freigelassenen eine Ausbildung zu ermöglichen und gründeten Schulen und Universitäten. Eine von ihnen war die Fisk University von Nashville, Tennessee. Ihr Gründer George White leitete einen kleinen Chor, in dem er mit den schwarzen Studenten Volkslieder und Negro Spirituals sang. Die „Fisk Jubilee-Singers“ hatten mit den konzertant gesungenen Spirituals aus der Sklavenzeit großen Erfolg und so gründeten sich mehrere kleine Gesangsgruppen im Stile der Fisk-Jubilee-Singers. Diese Lieder fanden große Verbreitung auch unter der weißen Bevölkerung.